J. Östlund: Vid världens ände [Am Ende der Welt]

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Title
Vid världens ände. Sultanens sändebud och hans berättelse om 1700-talets Sverige


Author(s)
Östlund, Joachim
Published
Extent
159 S.
Price
SEK 229,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Magnus Ressel, Historisches Seminar, Goethe Universität Frankfurt am Main

Im schmalen Buch Vid världens ände. Sultanens sändebud och hans berättelse om 1700-talets Sverige [Am Ende der Welt. Der Gesandte des Sultans und sein Bericht über das Schweden des 18. Jahrhunderts] von nicht ganz 160 Seiten wird ein wichtiger osmanischer Text zur europäischen, vor allem der schwedischen Geschichte eingehend analysiert. Mehmed Said Efendi wurde 1733 nach Stockholm geschickt, um hier Schulden einzutreiben, die der schwedische König Karl XII. (1682–1718) in den Jahren seines unfreiwilligen Aufenthaltes in Bender (heute Transnistrien) von 1709 bis 1713 angehäuft hatte. Der König hatte nach der Niederlage in Poltawa in diesem osmanischen Grenzgebiet teuer Hof gehalten und die entsprechenden Kosten wollte man seitens der Osmanen nun erstattet haben.

Die Mission von Mehmed Said Efendi wurde von Sultan Mahmud I. (1696–1754, reg. 1730–1754) entsandt und umfasste 44 Personen. Eine der wichtigsten Personen dieser Gruppe war der Dragoman Scarlat Caradja (1695–1780), ein hochrangiger Grieche aus Konstantinopel, der dank seiner Sprachkenntnisse die Übersetzungsleistungen ermöglichte. Die Reise begann Anfang November 1732 in Istanbul und dauerte dann insgesamt 159 Tage. Im Sommer 1733 traf die Gesandtschaft nach einer Reise über Shumen, Buzău, Bârlad, Vaslui, Chotín, Kamieniec, Warschau, Danzig und die Ostsee in Stockholm ein. Die Verhandlungen führten zu keinem unmittelbar günstigen Ergebnis, der Gesandte wurde auf die nächste Reichstagssitzung vertröstet, die erst nach seiner Abfahrt stattfand. Erst 1738 konnte die Schuldenproblematik zur beiderseitigen Zufriedenheit gelöst werden.

Said verfasste über seine Reise einen Bericht, einen sefaretnâme, der an seinen Auftraggeber gerichtet war. Der sefaretnâme beschreibt jeden einzelnen Tag der Reise und stellt den ersten osmanischen Bericht dar, der über Schweden geschrieben wurde. Said war zu dieser Zeit Finanzminister und Sohn eines der höchsten Gesandten des Osmanischen Reiches, eines so genannten çelebi – ein Titel, der prominenten Intellektuellen oder anderweitig bedeutenden Personen im Dienste des Reiches verliehen wurde. Said gehörte auch zur Gruppe der Reformer im Reich. Der sefaretnâme war, wie der Lundenser Historiker Joachim Östlund betont, auch ein Instrument, um die eigenen Reformvorstellungen durch den Verweis auf eventuelle europäische Vorbilder zu stützen.

Saids sefaretnâme wurde bereits 1911 transkribiert und gedruckt, 1920 wurde der Text dann ins Schwedische übersetzt und veröffentlicht. Der Text wurde als Bericht über die Verhandlungen zwischen dem Osmanischen und dem Schwedischen Reich sowie über die Folgen des Auslandsaufenthalts von Karl XII. bereits von einer Reihe an Autor:innen verwendet. Dabei standen vormals diplomatiegeschichtliche Aspekte im Vordergrund. 1987 hat Fatma Müge Göçek den Text in ihrer Studie East Encounters West untersucht und als Beleg dafür genommen, dass es aus osmanischer Sicht in Schweden nicht viel Interessantes in Bezug auf Kultur oder wissenschaftliche Innovation zu vermerken gegeben habe – im Gegensatz zu Frankreich.1 Hiergegen wendet sich Östlund entschieden und betont, dass Said sowohl Informationen militärischer Natur, als auch Informationen über das schwedische politische System lieferte, die recht genau waren. Dem Bericht zufolge hatte der König beispielsweise keine Macht – Entscheidungen über die schwedische Wirtschaft und Außenpolitik wurden stattdessen auf der Grundlage der Zustimmung des ganzen Volkes getroffen. Solche Aspekte des Berichts entschuldigen zwar vordergründig den Misserfolg der Gesandtschaft, zeugen aber auch von einem eingehenderen osmanischen Interesse an Schweden.

Östlunds wesentliches Anliegen, neben der Herausarbeitung von solchen Beschreibungen Schwedens, ist die Analyse der osmanischen Identität, wie sie sich in diesem Text in Abgrenzung zu dem fernen Königreich im kalten Norden ausdrückt. Der Text wird in diesem Sinne weniger als authentisches Dokument über Saids Beobachtungen interpretiert, sondern als eine Reflexion des osmanischen Würdenträgers, die seiner eigenen Weltanschauung entsprang. Östlunds Studie verfolgt daher zwei große Fragenkomplexe: Der erste konzentriert sich auf Ausdrucksformen einer osmanischen Individual- und Gruppenidentität, während der zweite auf die Vorstellungen vom hohen Norden oder Schweden rekurriert.

Das Buch ist nach einer ausführlichen Einleitung von fast 40 Seiten, in denen Quelle, Fragestellung und Kontext ausgiebig analysiert werden, in acht weitere Kapitel von jeweils etwa fünf bis 20 Seiten unterteilt. Kapitel zwei, „Said und seine Welt“, zeigt den Kontext der Reise Saids nach Schweden in den Jahren 1732 bis 1733 auf. Kapitel drei befasst sich mit der Reise durch die Provinzen des Osmanischen Reiches in der Walachei und Moldawien und den Grenzübergang zu Polen – dem einige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Kapitel vier beschreibt die dramatische Reise von Danzig über die Ostsee, während das Kapitel fünf sich auf die Ankunft in Stockholm und vor allem darauf konzentriert, wie Said sich als Vertreter des Sultans und der Hohen Pforte darstellte. Kapitel sechs befasst sich mit Saids Beschreibung Schwedens und seiner Bevölkerung. Kapitel sieben beschreibt die Rückreise nach Istanbul mit einem Zwischenstopp in Polen. Kapitel acht beschäftigt sich mit Gemälden, die von der Gesandtschaft in Schweden angefertigt wurden und der weiteren Nachwirkungen der Mission Saids in den politischen Wechselfällen des Osmanischen Reichs in den 1730er-Jahren. Kapitel neun fasst die Gesamteindrücke der Studie zusammen.

Die Arbeit fördert bemerkenswerte Ergebnisse zutage. Beispielsweise findet Östlund keinerlei Konstruktionen von Ost und West aus Sicht der Osmanen. Hingegen zeichnet sich im sefaretnâme stark die Ideologie einer Nachfolge des Römischen Reiches („rum-identiteten“) ab, was bedingt habe, dass das Osmanische Reich sich als Zentrum der Zivilisation verstand und die umliegenden Staatswesen nurmehr eine Peripherie darstellten. Religiöse Aspekte werden von Said faktisch nicht erwähnt, es reicht die kurze Bemerkung, dass Schweden ein christliches Land sei. Saids klimatische Beschreibungen sind dagegen bemerkenswert. Im Sommer des Aufenthalts von Said wird Schweden als kaltes Land dargestellt und die Ostsee friert angeblich lange zu. Diese Beschreibungen stimmen wohl nicht völlig mit der Reiseerfahrung Saids überein und geben offenkundig das Wissen antiker Autoren wider. Ebenso gilt dies für seine Beschreibung der Schweden, die an Tacitus‘ Germania erinnert. Said interpretiert das schwedische Herz („ett svenskt hjärta“) als Zeichen besonderer Tapferkeit und nennt weitere körperliche Eigenschaften, die an edle Barbaren erinnern. Said lobt weiterhin die freundschaftlichen Beziehungen der Schweden zum Sultan und betont, dass die Schweden mit dem „Moskoviter“ denselben Feind wie die Osmanen hätten.

Bedauernswert ist, dass die originale Quelle hier nicht auch in einer Edition abgedruckt wurde – und wäre es nur ein Wiederabdruck der Fassung von 1920 gewesen. Diese Edition ist an einem für die meisten Forscher:innen sehr entlegenen Publikationsort, nämlich im Jahrbuch des geschichtswissenschaftlichen Vereins Karolinska Förbundet abgedruckt und damit nur mit Mühe zugänglich.2 Von dieser Umständlichkeit abgesehen überzeugt das Buch. Die Methode, den Text zu beschreiben und an Schlüsselstellen immer wieder zu kontextualisieren und mit verschiedenen Forschungsansätzen, wichtigen Traditionen oder Autor:innen in Bezug zu setzen, wirkt innovativ und löst jüngere Anregungen einer regional rückgebundenen Globalgeschichte ein. Östlunds Werk trägt zu einer vertieften Wissens- und Kulturkontaktgeschichte nicht nur bezüglich des Osmanischen Reichs, sondern auch dessen Ansichten über Europa bei.

Anmerkungen:
1 Fatma Müge Göçek, East Encounters West: France and the Ottoman Empire in the Eighteenth Century, Oxford 1987.
2 Johannes Kolmodin, Said Mehmed Efendi’s berättelse om sin beskickning till Sverige år 1733. Inledning och översättning av Johannes Kolmodin, in: Karolinska Förbundets Årsbok (1920), S. 256–303.

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